Wenn ein Staat die digitale Souveränität verliert, verliert er die Kontrolle über seine Entscheidungen.
Genau das passiert in Europa – langsam, leise, hochprofessionell. Behörden verlieren still und heimlich ihre digitale Souveränität. Während die Debatte um OpenAI und SAP noch läuft, hat ein anderes US-Unternehmen längst festen Fuß in den sensibelsten Bereichen deutscher und europäischer Verwaltung gefasst: Palantir Technologies.
Was für viele nach Science-Fiction klingt, ist längst Alltag in Behörden, Ministerien und Sicherheitsstrukturen. Und das Problem ist nicht die Software selbst – sondern die Architektur, die dahinter steckt.
Was Palantir wirklich tut
Palantir ist kein klassischer KI-Anbieter. Es verkauft keine Modelle, sondern Infrastruktur für Datenmacht.
Die Plattform Foundry bündelt Informationen aus verschiedensten Quellen - Polizeidaten, Logistiksysteme, Personalakten, Geodaten, Finanzflüsse – und verknüpft sie zu einem einheitlichen Lagebild.
Was auf den ersten Blick nach effizienter Verwaltung klingt, ist in Wahrheit ein Betriebssystem für Entscheidungshoheit.
Denn wer die Datenstruktur kontrolliert, bestimmt auch, was sichtbar wird - und was nicht.
In Deutschland wird Palantir beim Bundeskriminalamt (BKA), bei der Bundeswehr, bei Landespolizeien und in Sicherheitskooperationen eingesetzt. In Großbritannien ist Palantir seit 2023 sogar Hauptanbieter der nationalen Gesundheitsdatenplattform des NHS. Offiziell, um Effizienz zu steigern. Inoffiziell, um aus Chaos Ordnung zu machen- allerdings auf amerikanischem Quellcode.
Datenhoheit auf dem Papier, Systemhoheit beim Anbieter
In den Verträgen zwischen Palantir und Behörden steht eindeutig: Die Daten gehören weiterhin dem Kunden.
Doch die Kontrolle darüber, wie diese Daten verarbeitet, modelliert und kombiniert werden, liegt bei Palantir.
Die Algorithmen, Schnittstellen und Visualisierungstools sind proprietär und geschlossen. Ein externer Audit ist kaum möglich. Und wer die Software einmal integriert hat, kann sie praktisch nicht mehr austauschen – zu viele Prozesse, zu viele Abhängigkeiten.
Das ist keine technische, sondern eine politische Bindung. Der Staat wird zum Nutzer seiner eigenen Daten – aber nicht mehr zu ihrem Herren. Ein klassischer Vendor Lock-in, verkleidet als Sicherheitslösung.
Die perfekte Tarnung: Sicherheit
Palantir ist Meister darin, Sicherheit als Verkaufsargument zu nutzen. „Schützt Daten, bekämpft Terror, verhindert Betrug“ – das klingt unanfechtbar. Kein Politiker will gegen Sicherheit argumentieren. Doch genau das macht den Mechanismus so effektiv.
Denn wenn Systeme unter Sicherheitslogik eingeführt werden, entziehen sie sich öffentlicher Kontrolle. Vertraulichkeitsvereinbarungen, Geheimhaltungspflichten, Closed Source. Was als Schutz gedacht ist, wird zur Blackbox des Staates.
So entsteht der „unsichtbare Staat im Staat“ – nicht durch böse Absicht, sondern durch technologische Bequemlichkeit.
Europa: zwischen Regulierung und Realitätsverweigerung
Parallel dazu arbeitet die EU an ihren Vorzeigeprojekten: AI Act, Data Act, Cyber Resilience Act. Papiermäßig ist Europa das bestregulierte Datenökosystem der Welt.
In der Praxis aber fehlen zwei Dinge: eigene Infrastrukturen und konsequente Beschaffungspolitik.
Während Brüssel rechtliche Rahmen entwirft, kaufen nationale Behörden US-Lösungen ein. Der Widerspruch ist grotesk:
Europa reguliert KI, die es gar nicht selbst kontrolliert.
Und wiederholt damit den gleichen Fehler wie bei OpenAI und SAP: Wir reden über Souveränität, handeln aber wie Konsumenten.
Die europäische Realität: Es gibt Alternativen
Europa muss Palantir nicht kopieren - es kann besser orchestrieren.
Bereits heute existieren leistungsfähige, vertrauenswürdige Alternativen:
Airbus Defence & Space entwickelt mit CortAix eine skalierbare Daten- und KI-Plattform für Behörden.
Thales betreibt mit Cybels Analytics eine europäische Sicherheitsarchitektur.
Fraunhofer baut föderierte Datenräume für öffentliche Dienste auf.
Aleph Alpha, Mistral, DeepL, Black Forest Flux und GAIA-X liefern die KI-Bausteine, die man nur noch intelligent kombinieren müsste.
Das Potenzial ist da - die Orchestrierung fehlt. Europa hat die Musiker, aber noch keinen Dirigenten.
Warum Behörden trotzdem Palantir kaufen
Die Antwort ist unbequem: Bequemlichkeit. Palantir funktioniert „out of the box“. Behörden müssen keine komplexen Integrationen managen, keine Datenstandards vereinheitlichen, keine Partner koordinieren. Ein System, ein Dashboard, ein Ansprechpartner - fertig.
Europäische Lösungen sind modularer, offener, kleinteiliger. Das macht sie administrativ anstrengender, aber strategisch sicherer.
Doch kurzfristig zählt Effizienz mehr als Resilienz. Ein Zitat eines Ministeriumsbeamten fasst es treffend:
„Mit Palantir haben wir endlich alles an einem Ort. Nur - wer diesen Ort kontrolliert, darüber reden wir später.“
Später ist jetzt.
Der demokratische Preis der Intransparenz
Die Macht von Palantir liegt nicht in Datenmengen, sondern in Datenstrukturen. Das System entscheidet, welche Informationen miteinander verknüpft werden dürfen - und welche nicht.
Damit prägt es das Denken seiner Nutzer: Was nicht angezeigt wird, existiert nicht.
Diese subtile Steuerung von Wahrnehmung ist die eigentliche Gefahr. Nicht Manipulation im bösen Sinn - sondern eine Algorithmisierung des Blicks. Der Staat sieht nur noch, was das System zeigt. Und das System gehört jemand anderem.
In einer Demokratie, die auf Rechenschaft und Nachvollziehbarkeit beruht, ist das mehr als ein technisches Problem - es ist ein Verfassungsrisiko.
Digitale Souveränität: kein Buzzword, sondern Staatsaufgabe
Europa braucht eine neue Definition von Souveränität. Nicht „alles selbst machen“, sondern alles verstehen und kontrollieren können.
Das heißt:
Transparente Architekturen statt geschlossener Plattformen.
Offene Standards, damit Systeme kombinierbar bleiben.
Europäische Förderpolitik, die Projekte zusammenführt statt verdoppelt.
Behörden als Innovationskunden, nicht als Lizenznehmer.
Souveränität bedeutet, dass man jederzeit austauschen kann, was man nutzt. Wer das nicht kann, hat keine technologische Autonomie - nur ein Mietrecht an der Zukunft.
Von der KI zur Governance: Vielfalt als Verfassung
Das Leitmotiv „Vielfalt statt Einfalt“ beschreibt nicht nur Technik, sondern europäische Kultur.
Föderalismus, Sprachvielfalt, unterschiedliche Rechtsordnungen - alles das, was oft als Hemmnis gilt, ist zugleich Schutz.
Ein dezentrales Europa ist schwer zu steuern - aber auch schwer zu kontrollieren.
Diese Vielfalt kann und sollte sich in der digitalen Architektur widerspiegeln. Föderierte Datenräume, interoperable Schnittstellen, modulare KI-Modelle - sie sind nicht die ineffiziente Version der Cloud, sie sind die demokratische.
Souveränität bedeutet nicht Einheit, sondern Handlungsfreiheit in Vielfalt.
Was jetzt zu tun ist
Es gibt einen klaren Pfad aus der Abhängigkeit:
Offene Architekturpolitik – Behörden müssen interoperable Systeme bevorzugen.
Europäische KI-Förderung bündeln - Aleph Alpha, Mistral, DeepL & Co. zu einem souveränen Stack verbinden.
GAIA-X konsequent nutzen - als verbindenden Rahmen, nicht als Projektfriedhof.
Verträge transparent machen - kein System ohne Audit, kein Anbieter ohne Exit-Szenario.
Verwaltungen schulen - technologische Bildung als Teil der demokratischen Selbstverteidigung.
Palantir ist kein Feindbild. Es ist ein Spiegelbild unserer Bequemlichkeit. Solange wir „funktioniert sofort“ über „gehört uns“ stellen,
werden wir weiter Systeme nutzen, die andere für uns steuern.
Europas Vielfalt ist sein Code
Souveränität beginnt nicht mit Technik, sondern mit Haltung.
Europa hat die Werkzeuge, die Köpfe und das Kapital - es fehlt nur die Konsequenz, sie zu verbinden.
Die Frage ist nicht, ob wir abhängig sind. Die Frage ist, ob wir es bleiben wollen.
Vielfalt statt Einfalt ist kein Slogan - es ist Europas Sicherheitsarchitektur im digitalen Zeitalter.
Und vielleicht die letzte Chance, zu beweisen, dass Freiheit auch in Code übersetzbar ist.
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