Ein Leitartikel für alle, die glauben, KI sei nur etwas für Technik-Nerds, Jüngere oder Start-ups – und für alle, die andere vom Gegenteil überzeugen wollen.
Einleitung: "Ich werde das doch nicht mehr brauchen"
"Ich bin zu alt für den Kram."
"Das betrifft mich nicht mehr."
"Damit sollen sich die Jüngeren beschäftigen."
Diese Sätze hört man oft, wenn es um Künstliche Intelligenz (KI) und die Generation der BestAger geht. Dabei erleben wir gerade eine der tiefgreifendsten technologischen Umbrüche seit Erfindung des Internets – und diesmal betrifft es wirklich alle.
Denn KI ist keine Zukunftsvision mehr. Sie ist Gegenwart. Sie steckt in unseren Smartphones, in Navigationssystemen, in Diagnosesoftwares, in Sprachassistenten – und immer mehr in den Systemen, die unseren Alltag erleichtern sollen. Wer heute noch glaubt, man könne sich als „Nicht-ITler“ zurückziehen, irrt gewaltig.
Der Realitätsschock: Was viele nicht sehen wollen
Studien zeigen: Die Mehrheit der Deutschen hat zwar schon einmal von KI gehört, aber nur ein Bruchteil versteht wirklich, was dahintersteckt. Laut einer Untersuchung des Brand Science Institute sind 92 % der Deutschen kaum mit KI vertraut. Gleichzeitig glauben viele, KI werde ihren Lebensbereich nicht beeinflussen – oder nur marginal.
Das ist ein fataler Irrtum. Denn ob Beruf, Gesundheit, Bildung, Verwaltung oder Freizeit: KI durchdringt inzwischen nahezu alle Lebensbereiche. Und das bedeutet: Wer sich heute nicht damit auseinandersetzt, ist morgen ausgeschlossen.
Die Vorbehalte: Angst, Überforderung, Unverständnis
Warum aber tun sich so viele Menschen – gerade ältere – so schwer mit der Annäherung an KI?
Viele haben Technikangst und sagen: "Ich verstehe das eh nicht."
Andere empfinden Verlustgefühle und meinen: "Das nimmt uns doch die Arbeit weg."
Es gibt auch Relevanzzweifel wie: "In meinem Alter bringt das doch nichts mehr."
Und schließlich ist da Misstrauen: "KI verbraucht zu viel Strom, nimmt Daten auf, ersetzt Menschen."
Diese Haltung ist verständlich, aber sie basiert auf Mythen, nicht auf Fakten. Denn gerade für die Generation 60+ kann KI enorme Vorteile bringen – beruflich, privat, gesundheitlich.
Realität statt Mythos: Wo KI heute schon hilft
1. Im Beruf: Kompetenz statt Konkurrenz
Viele Menschen über 60 sind noch berufstätig oder ehrenamtlich engagiert. Hier kann KI entlasten, ohne zu ersetzen:
Textautomatisierung – etwa mit ChatGPT – spart Zeit beim Schreiben von E-Mails, Berichten oder Protokollen.
Terminplanung mit KI-Tools erleichtert den Arbeitsalltag spürbar.
Datenanalyse durch Tools wie Power BI oder Excel Copilot unterstützt gezielter bei Entscheidungen.
Personalisierte Weiterbildung durch adaptive Lernsysteme fördert lebenslanges Lernen, auch im Alter.
2. In der Freizeit: Mehr Teilhabe, mehr Möglichkeiten
KI-gestützte Empfehlungen helfen bei der Auswahl von Reisen, Büchern, Filmen oder Ausflügen.
Sprachassistenten wie Alexa oder Google Assistant werden zu praktischen Alltagsbegleitern.
KI-gesteuerte Smart Homes regeln Licht, Heizung oder Sicherheit per Sprachbefehl.
Digitale Partner in Form von Chatbots simulieren Gespräche und beugen Einsamkeit vor.
3. In der Gesundheit: Früher erkennen, besser begleiten
Frühwarnsysteme erkennen Sturzrisiken, Schlaganfälle oder kognitive Veränderungen frühzeitig.
Medikations-Erinnerungssysteme funktionieren per App oder über Smart Speaker.
Telemedizinische Diagnosen mit KI-Assistenz – etwa bei Hautanalysen oder Bildauswertungen – ergänzen ärztliche Entscheidungen.
KI in der Pflege unterstützt Fachkräfte und entlastet Angehörige.
"Aber ich kenne mich doch mit sowas nicht aus!"
Das meistgenannte Argument gegen KI lautet: "Ich hab davon keine Ahnung."
Doch gute KI-Systeme brauchen kein Technikstudium. Sie funktionieren über Sprache, Gesten oder einfaches Antippen. Vieles ist intuitiv. Entscheidend ist nicht technisches Wissen, sondern Neugier und Offenheit.
Was man wirklich braucht:
Man sollte ein Smartphone oder Tablet bedienen können.
Man sollte wissen, wie man eine App öffnet.
Man braucht ein Grundverständnis von WLAN oder Internetzugang.
Man sollte keine Angst haben, etwas auszuprobieren.
Wenn jemand WhatsApp nutzen kann, ist der Schritt zur KI-Nutzung kleiner als gedacht.
Wie erklärt man KI, ohne zu verwirren?
Vergleiche helfen. Statt von Algorithmen oder neuronalen Netzen zu sprechen, hilft ein Bild:
KI ist wie ein Musiker, der tausende Lieder gehört hat. Wenn du ihn bittest, ein neues Stück zu spielen, improvisiert er – nach deinem Geschmack, aber mit seinem Wissen.
Oder anders:
KI ist wie ein smarter Bäcker, der auf Basis deiner Zutaten ein neues Rezept vorschlägt – eins, das statistisch zu deinem Geschmack passt.
Solche Bilder übersetzen Technik in Lebenswelt.
UX und Mensch-Maschine: KI verbessert den Zugang
Dank KI werden Nutzeroberflächen einfacher, nicht komplizierter:
Texte können sich selbst vorlesen.
Buttons passen sich automatisch der Sehleistung des Nutzers an.
Menüs merken sich, was häufig gebraucht wird.
Sprache ersetzt das mühsame Tippen auf der Tastatur.
Das heißt: Wer vielleicht früher an Menüs verzweifelte, bekommt heute eine KI, die mitdenkt und mitlernt. Gerade für ältere Menschen ist das ein riesiger Fortschritt.
Die größte Gefahr: Passivität
Die eigentliche Gefahr ist nicht, dass KI zu viel kann. Sondern dass Menschen sich aus Angst oder Bequemlichkeit abkoppeln. Das wäre fatal, denn es bedeutet:
Es gibt weniger Teilhabe.
Es droht ein Verlust an Selbstbestimmung.
Es entsteht eine höhere Abhängigkeit von anderen.
Fazit: Wer jetzt lernt, hat später die Wahl
KI ist nicht neutral. Sie verändert unsere Gesellschaft, unsere Arbeit, unser Denken. Aber sie ist auch ein Werkzeug – eines, das gerade älteren Menschen enorme Möglichkeiten bietet.
Deshalb gilt:
Es ist nie zu spät, mit KI anzufangen. Aber es kann zu spät sein, es nicht zu tun.
Die gute Nachricht: Man muss nicht alles verstehen. Es reicht, zu wissen, was sie kann – und wie man sie für sich selbst nutzen kann.
Wer neugierig bleibt, hat schon gewonnen.
Weiterführende Informationen
- Brand Science Institute (2023).
Studie zu Künstlicher Intelligenz in Deutschland: 92 % der Deutschen haben keine oder geringe Kenntnisse in Bezug auf KI.
https://www.bsi.ag/cases/11-case-studie-ki-in-deutschland-92-nicht-vertraut-und-hohe-vorbehalte.html - Digital-Kompass / BAGSO (2022).
Künstliche Intelligenz im Alltag älterer Menschen. Lernmodul zur Förderung digitaler Kompetenzen.
https://www.digital-kompass.de/materialien/kuenstliche-intelligenz-im-alltag-aelterer-menschen - Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (2021).
Technologieeinsatz in der Altersmedizin: Chancen von KI in Diagnostik und Prävention.
https://www.dggeriatrie.de/aktuelles/technologie-und-geriatrie - DFKI – Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (2023).
Projekt KI@Home: Wie KI ältere Menschen im Alltag unterstützt.
https://www.dfki.de/web/news/kihome-hilft-senioren-in-berlin-und-brandenburg - WDR (2023).
Pflege und KI: Wie ein Seniorenheim in NRW mit KI gegen den Fachkräftemangel arbeitet.
https://www1.wdr.de/lokalzeit/ehrenamt/ki-pflege-wadersloh-seniorenheim-fachkraeftemangel-100.html - Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2023).
Lernende Systeme für alle Generationen – Einsatz von KI in der beruflichen Bildung.
https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/kuenstliche-intelligenz/lernsysteme/lernsysteme_node.html - Otto Brenner Stiftung (2023).
Künstliche Intelligenz im medialen Diskurs – zwischen Hype und Aufklärung.
https://www.otto-brenner-stiftung.de/kuenstliche-intelligenz-im-medialen-diskurs - Federal Reserve Bank of St. Louis (2023).
AI adoption and productivity: Evidence across job sectors.
https://research.stlouisfed.org/publications - Bitkom e. V. (2023).
Senioren und digitale Teilhabe: Was 60+ zur Nutzung von digitalen Technologien motiviert.
https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Bitkom-Studie-Senioren-digitale-Teilnahme - Fraunhofer IAO (2022).
Barrierefreie Mensch-Maschine-Interaktion durch KI: Adaptive Interfaces für ältere Zielgruppen.
https://www.iao.fraunhofer.de/lang-de/presse-und-medien/aktuelles/1380-ki-und-barrierefreiheit.html
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