Wer Karriere machen will, sollte auf ChatGPT verzichten? Ein Weckruf für unsere Arbeitskultur

Mai 11, 2025 | Digitalisierung und KI | 0 Kommentare

Written By Bernd Wiest

Eine neue Studie der Duke University sorgt für Aufsehen: Mitarbeitende, die KI-Tools wie ChatGPT im Beruf nutzen, werden als weniger fleißig, weniger kompetent und leichter ersetzbar wahrgenommen. In Bewerbungssituationen schneiden sie schlechter ab, und viele verbergen ihre KI-Nutzung aus Angst vor Reputationsverlust. Was wie ein Einzelfall klingt, ist in Wahrheit Ausdruck eines tiefer liegenden Problems: Die deutsche Arbeitskultur hat ein Leistungs- und Technologieproblem. Und das kostet uns mehr als nur Innovationskraft – es kostet uns die Zukunft.

Teil 1: Studienlage zu KI-Vorurteilen

Die Studie, veröffentlicht in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), umfasst vier Experimente mit über 4.400 Teilnehmern. Das Ergebnis: Menschen, die KI im Arbeitsalltag einsetzen, werden durchweg negativer bewertet als jene, die konventionell oder gar nicht unterstützt arbeiten. Sie gelten als:

  • wenig kompetent
  • faul
  • wenig selbstsicher
  • leichter ersetzbar

In Bewerbungssimulationen lehnten besonders Führungskräfte ohne eigene KI-Erfahrung Bewerber ab, die regelmäßig KI-Tools nutzten. Gleichzeitig bevorzugten KI-erfahrene Manager genau diese Kandidaten. Hier zeigt sich: Die Debatte ist kein technisches, sondern ein kulturelles Thema.

Laut einer Pluralsight-Umfrage glauben 59 % der Arbeitnehmer, dass KI-Nutzung als Faulheit wahrgenommen wird. Bei Führungskräften sind es sogar 73 %. Fast ein Drittel (31 %) verheimlicht aktiv den Einsatz solcher Tools.

Teil 2: Leistung ist Arbeit pro Zeit

Ein ehemaliger Chef sagte einmal zu mir: „Leistung ist Arbeit pro Zeit.“ Und das trifft den Kern. Denn Leistung ist nicht bloß Präsenz oder Aktivität, sondern das Verhältnis von Output zu investierter Zeit.

Das wird besonders deutlich, wenn wir über Werkzeuge wie ChatGPT sprechen. Wer heute in zwei Stunden schafft, wofür andere acht benötigen, ist nicht ineffizient oder faul – er ist produktiver. Doch genau das wird in vielen Unternehmen nicht belohnt, sondern skeptisch beäugt.

Dabei zeigt die betriebswirtschaftliche Forschung seit Jahrzehnten: Unternehmen, die Produktivität und nicht Präsenz belohnen, sind erfolgreicher. Studien des Fraunhofer IAO und der Stanford University kommen zu dem Schluss, dass Output-orientierte Vergütungssysteme die Innovations- und Leistungsbereitschaft messbar steigern.

Teil 3: Kulturwandel statt Leistungsparadoxon

Und hier liegt das eigentliche Dilemma: Wenn Unternehmen Zeit vergüten statt Leistung, entsteht ein perverser Anreiz. Wer schneller arbeitet, wird mit mehr Aufgaben bestraft. Wer langsam ist, bleibt unbehelligt. Die logische Konsequenz? Niemand hat ein Eigeninteresse, Zeitmanagement-Trainings zu besuchen, effizienter zu werden oder neue Tools zu lernen.

Wenn es keine kulturelle und strukturelle Anerkennung für gesteigerte Leistung gibt, macht Beschleunigung keinen Sinn. Der schnelle wird ausgenutzt, der ineffiziente geschont. Das ist kein individuelles Versagen, sondern ein Systemfehler.

Eine echte Leistungskultur würde bedeuten:

Effizienzsteigerungen werden belohnt, nicht sanktioniert.

Wer mit Tools wie ChatGPT schneller zum Ziel kommt, wird nicht misstrauisch beäugt, sondern als Vorbild betrachtet.

Zeit ist ein Kostenfaktor. Wer weniger davon braucht, schafft Mehrwert.

Teil 4: Was Unternehmen jetzt tun sollten

  1. Transparenz fördern: Wer Tools nutzt, soll darüber sprechen dürfen. Ohne Angst vor Stigmatisierung.
  2. Leistung messbar machen: Output statt Aufwand. Ergebnisse statt Stundenzettel.
  3. Führungskräfte schulen: Wer selbst KI-Erfahrung hat, fällt seltener in alte Vorurteilsmuster zurück.
  4. Inzentivieren statt bestrafen: Produktivität muss sich lohnen – auch im individuellen Vorteil.
  5. Technologiekompetenz aufbauen: Wer Tools versteht, hat weniger Angst davor.

Abschluss und Startschuss!

Wer Leistung ernst nimmt, muss Geschwindigkeit ernst nehmen. Und wer die Menschen belohnt, die intelligent arbeiten, statt nur lange, wird in einer KI-getriebenen Wirtschaft erfolgreicher sein. Die Frage ist nicht, ob wir KI wie ChatGPT zulassen. Die Frage ist, ob wir es uns leisten können, weiterhin ihre Nutzer zu diskriminieren.

Denn wer heute Leistung bremst, verliert morgen den Anschluss.

Weiterführende Quellen

1. Reif, J., Larrick, R., & Soll, J. (2025).

Evidence of a social evaluation penalty for using AI. Proceedings of the National Academy of Sciences.

https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2426766122

 

2. Pluralsight (2025).

Workplace AI Adoption Study. Pluralsight Research Report.

https://www.pluralsight.com/newsroom/press-releases/pluralsight-research-finds-that-79--of-tech-workers-pretend-to-k

 

3. Nielsen Norman Group (2023).

AI Tools and Productivity Gains. NNGroup Research.

https://www.nngroup.com/articles/ai-tools-productivity-gains

 

4. Brynjolfsson, E., Li, D., & Raymond, L. (2023).

Generative AI at Work. MIT Sloan School of Management.

https://mitsloan.mit.edu/ideas-made-to-matter/how-generative-ai-can-boost-highly-skilled-workers-productivity

 

5. McKinsey & Company (2023).

The economic potential of generative AI: The next productivity frontier.

https://www.mckinsey.com/capabilities/mckinsey-digital/our-insights/the-economic-potential-of-generative-ai-the-next-productivity-frontier

 

6. Pencavel, J. (2014).

The Productivity of Working Hours. Stanford Institute for Economic Policy Research.

https://siepr.stanford.edu/publications/working-paper/productivity-working-hours

 

7. Görlitz, K., & Tamm, M. (2014).

The Effects of Longer Working Hours on Productivity. IZA Discussion Paper No. 8129.

Klicke, um auf dp8129.pdf zuzugreifen

 

8. Fraunhofer IAO (2021).

Success Factors for Business Digitalisation. Fraunhofer IAO White Paper.

Klicke, um auf 2021_IAO_ST_Success%20Factors%20for%20Business%20Digitalisation_EN.pdf zuzugreifen

 

9. Kline, P., & Moretti, E. (2014).

Within Firm Pay Inequality and Productivity. Stanford SIEPR Working Paper.

https://siepr.stanford.edu/publications/working-paper/within-firm-pay-inequality-and-productivity

 

10. Vincent, J. (2025, May).

AI use damages professional reputation, study suggests. Ars Technica.

https://arstechnica.com/ai/2025/05/ai-use-damages-professional-reputation-study-suggests

 

11. Inman, P. (2025, May).

AI revolution brings promise and peril for businesses. The Guardian.

https://www.theguardian.com/business/2025/may/11/artificial-intelligence-small-business

Written By Bernd Wiest

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