Jede Unternehmensgründung hat auch mit der Entwicklung und dem Angebot eines Produktes zu tun. Wie bereits früher beschrieben interessiere ich mich vor allem für den Aufbau von Organisationen in unsicherem Umfeld und unbekannten Terrain.

Im Unterschied zu Märkten, in denen die Regeln und Spieler und Ergebnisse bekannt sind, gibt es hier mehr Fragen als Antworten. Ein Startup in diesem Umfeld entwickelt immer etwas Neues in einem veränderten oder neuen Markt. Hier habe ich immer zwei Möglichkeiten, die Umsetzung anzugehen. Entweder gehe ich von mir als Musterkunde aus und entwickle das, was mir wichtig ist und gefällt in der Annahme, dass ich als Prototyp-Kunde für viele andere stehe oder ich gehe davon aus, dass ich den Kunden noch nicht kenne. Lean Startup konzentriert sich auf den zweiten Fall.

Eric Ries, einer der Erfinder dieser Methode sagte einmal sehr schön, dass wir heutzutage im Prinzip jedes Problem jederzeit lösen können. Die Frage ist damit also viel mehr: Ist das Problem, das wir lösen wollen es auch wert gelöst zu werden. Dies bedeutet auch: Sind Menschen bereit, für eine Lösung Ihres Problems auch Geld auszugeben.

Mit dieser Frage ändert sich die Ausrichtung eines Startups nahezu vollständig. Es geht nicht darum, gute Produkte mit tollen Funktionen zu entwickeln und anzubieten, es geht in erster Linie darum, den Kunden zuzuhören, sie zu verstehen und daraus eine Lösung zu entwickeln.  Schon Einstein  wird zitiert mit dem Satz: „Wenn man mir eine Stunde Zeit geben würden, ein Problem zu lösen, von dem mein Leben abhängt, würde ich 40 Minuten dazu verwenden, es zu studieren, 15 Minuten dazu, Lösungsmöglichkeiten zu prüfen, und 5 Minuten, um es zu lösen.“

Und genau hier setzt die Denkweise des Customer Developments bzw. des Lean Startups an. Es geht nicht darum, tolle Produkte zu entwickeln, sondern zunächst vor allem darum, sich ausreichend Zeit zu nehmen, die Kunden und ihre Probleme zu verstehen. Durch Befragungen, Interviews, Gespräche: Unsere wichtigste Frage lautet: „Welches Problem hast Du wirklich – lieber Kunde?“ Hier greifen alle Methoden der Sozialwissenschaften, von der qualitativen Befragung und Auswertung der offenen Antworten, um die Struktur des Problems zu verstehen bis hin zu quantitativen Erhebung um ein Gefühl für die Menge der Menschen oder Organisationen mit ähnlichem Problem und der Dringlichkeit, mit der sie eine Lösung erwarten, zu ermitteln. Das Schwierigste hierbei ist es, die eigenen Vorannahmen und Erfahrungen beiseite zu lassen und sich wirklich offen auf die Antworten der Kunden einzulassen.

Mit dieser Methode haben wir zum Jahresanfang begonnen, unsere bereits bestehenden und fertig entwickelten Produkte zu überprüfen. Klar war: Alle Entwicklungen und Bestandteile die wir haben können auf einfache Weise so kombiniert werden, dass die Probleme unserer Kunden gelöst werden können. Für das Feintuning ging es aber in erster Linie darum, das Problem besser zu verstehen. Also entwickelten wir strukturierte Probleminterviews für unsere Kunden. Diese wurden teils als Telefoninterviews, teils im Rahmen von Vor-Ort Treffen und teilweise (auch wenn es im schlimmsten Fall eine Verzerrung der Antworten gibt) als Fragen in Vertriebsgesprächen. Die offenen Antworten der Kunden und Kontakte zu den einzelnen Fragen wurden dokumentiert und anschließend strukturiert. Das Ergebnis war überraschend und extrem hilfreich. An vielen Stellen zeigte sich, dass wir das eigentliche Problem der Kunden bereits mit unserem kostenlosen Angebot gelöst hatten. An anderen Stellen ließen wir – durch die Bausteinstruktur – unsere Kunden mit der Fertigstellung der Lösungen allein. Und es zeigten sich Cluster von Problemen und Kunden – ein guter Ansatz für die Vermarktung und den Vertrieb.

Das Knifflige dabei ist dann aber: Die Kunden kennen die Lösung natürlich nicht, sonst gäbe es ja schon eine Angebot am Markt. Henry Ford sagte einmal:  Wenn ich die Menschen  gefragt hätte, was sie wollen, dann hätten sie geantwortet: „Schnellere Pferde“ und nicht „Autos“. Und auch Einstein bemerkte hierzu ganz lapidar: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“. Es war also nicht hilfreich, darauf zu vertrauen, dass diejenigen mit dem Problem auch in der Lage waren, die Lösung zu sehen, und unsere Angebote als Werkzeuge zu nutzen, um die Lösung herbeizuführen.

Im  Ergebnis begannen wir, unsere Produkte als Lösungen für verschiedene, sehr spezifische Probleme zusammenzustellen und auch einige Weiterentwicklungen voranzutreiben, die ein konkretes Kundenproblem adressieren.

Schon nach kurzer Zeit zeigte sich in der Anzahl der konkreten Anfragen und Vertriebsgesprächen zu den neuen, lösungsorientierten Produkten der Erfolg des neuen Vorgehens.

Der Hinweis „Get out of the building“, der im Lean Startup Umfeld so häufig zitiert wird, ist also wirklich ein bedeutender Schlüssel zum strukturierten Unternehmensaufbau mit neuen Produkten. Anders formuliert kennt man die Aussage schon lange mit dem Satz „Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“ – eine Weisheit, die wir in der Produktentwicklung sehr häufig vergessen.

Was wir für unser Lernen daraus lernen können

Auch für die persönliche Weiterentwicklung ist diese Methode hervorragend geeignet. Wichtig ist, sich zunächst ein persönliches Lernziel oder besser: Ein Kompetenz- oder Handlungsziel zu setzen. Den Unterschied macht der folgende Schritt: Wir suchen uns im eigenen Umfeld eine Person, die bereits das kann, was wir lernen wollen. Diese Person kann uns sehr gut beschreiben, wie sie selbst zu dieser Kompetenz kam, was sie gelernt oder getan hat, welche Fehler dabei gemacht wurden, welche Schritte sinnvoll sind.

Erst dann beginnt der erste Lernschritt: Ein Teilziel erreichen und prüfen, ob es uns näher an unser Ziel gebracht hat und was wir noch anpassen oder ändern sollten.